Freie Meinungsäußerung

Zitat von Fritz im Beitrag #18

---

USA ist nun mal ein thema welches die meinungen spaltet, persönlich mag ich dieses volk, oder wie du sagst diese menschen, nicht wirklich, die USA sind kriegstreiber, sie sind oberflächlich

---

Naja, ich sehe das schon anders. Ich sehe die US-Politik in Teilen sogar positiver als die europäische Politik. Politiker wie Elizabeth Warren, Bernie Sander, Tammy Boldwin und einige andere Politiker im Progressive Caucus sind auch für westeuropäische Verhältnisse gute Politiker und "sozialdemoratischer" als alle führenden "Sozialdemokraten" Europas.

Und einer dieser Kerle tritt nun als Präsidentschaftskandidat der Demokraten an - Bernie Sanders. In der Bürgerrechtsbewegung der 60er aktiv, mit Martin Luther King zusammen marschiert und demonstriert, war bei den Anti-Kriegs Demos gegen den Vietnamkrieg dabei und trat schon als Student in die "Friedensunion" (pazifistisch-sozialistische Partei), wurde als junger Erwachsender der Bürgermeister von der Hauptstadt seines Bundesstaates und seiner neuen "Bürgerpartei" und war somit der einzige Bürgermeister einer großen Stadt, der nicht entweder Demokrat oder Republikaner ist. In dieser Zeit setzte er sich sehr für die Minderheiten und sozial und gesellschaftlich benachteiligten ein (Mindestlohn, sozialer Wohnungsbau, kostenlose Bildung,..) und unterstützte die linken und sozialen Bewegungen, die dann auch eine eigene "Progressive Partei". In den 80er machte er Veranstaltungen mit vielen sozialistischen und anarchistischen Intellektuellen (Noam Chompsky) gegen die US Außenpolitik und zog schließlich in das Repräsentanten Haus ein (immer noch als "Unabhängiger" und nicht Demokrat/Republikaner) - stimmte gegen den Irak-Krieg, gegen den "Krieg gegen den Terror", gegen den "Patriot Act" und Überwachungsgesetzte (besonders nach 9/11) - schließlich wurde er Senator und wird in seinem Bundesstaat immer mit ca. 70-75% wiedergewählt und das, obwohl er sich als "demokratischen Sozialist" bezeichnet. Er hat mal eine achtstündige Rede über die Kriegspolitik der US gehalten um die Abschiebung auf den nächsten Tag zu verschieben - kämpft gegen die unfaire Vermögensverteilung und so weiter.

Inzwischen will genau er Präsident werden. Sein Vorbild sind Schweden und Dänemark, so soll das System der USA nach seinen Augen aussehen - er will endlich eine gesetzliche Krankenversicherung, kostenlose (Hoch-)Schulbildung, Gefängnisse reformieren (z.B. keine privaten Gefängnisse mehr), will die alten Freihandelsabkommen (NAFTA, CAFTA) auflösen, ist gegen TTIP und TPP, will den Mindestlohn auf 15 Dollar erhöhen, eine Vermögenssteuer, Steuererleichterungen für arme Familien, Banken, die "too big to fail" sind zerschlagen, Wall Street reformieren und Trennbankensysteme ausbauen, die "echte Arbeitslosigkeit" (wozu für ihn auch Minijobber, Zeitarbeiten, usw. gehören) bekämpfen, Genossenschaften ausbauen, Steuerparadiese trockenlegen, aktiv den Klimawandel bekämpfen, aus Atomenergie aussteigen, die Parteien- und Wahlkampffinanzierung ändern (er nimmt keine Spenden von Reichen und Unternehmen bzw, PACs an), das Wahlrecht vereinfachen (jeder über 18, keine Registrierung nötig), die Medien reformieren, sich gezielt für einen palästinensischen Staat einsetzten (er ist Jude und hat in seiner Studentenzeit selbst in einem Kibbuzim in Israel gelebt/gearbeitet), plädiert für eine Annäherung an den Iran und Russland, will keine US-Truppen mehr in Kriege schicken und (in Syrien/Irak) lokale Gruppen unterstützen. Will die Überwachungspraktiken beenden (er wurde auch schon von Glenn Greenwald und Edward Snowden gelobt), billige Studentenkredite anbieten, ist (in den USA ist das ja nicht so selbstverständlich) für Abtreibung, schärfere Waffengesetze, ein neues Justizwesen, gegen die Todesstrafe, stärkere Trennung von Kirche und Staat, und kleinere Dinge, wie bezahlten Mutterschutz und hoheres Kindergeld, mehr Urlaubstage, Investition in Infrastruktur und so weiter.

Er wird von den meisten Gewerkschaften und Friedensorganisationen schon unterstützt, immer mehr alte Bürgerrechtler und schwarze Aktivisten schließen sich dem an, die unabhängigen Kleinstparteien (Social Democrats of America, Socialists of America, Communist Party of America) unterstützen ihn, die Führung der Demokraten ist gegen ihn (bisher haben ihn 10 Leute bei den Demokraten unterstützt) - Hillary Clinton wurde von fast 400 unterstützt, die Vorsitzende der Demokraten sagte kürzlich erst (nicht so offensichtlich), dass sie ihre Macht einsetzten wird, dass er nicht Präsidentschaftskandidat der Demokraten wird - Goldman Sachs warnte schon vor ihm, die "Kommunismuskeule" wird schon geschwungen - aber die jungen Menschen lieben ihn. Unter den Wählern unter 40 Jahren hat er eine Zustimmung von 80-85%. Egal ob weiß, schwarz, weiblich oder männlich. In Iowa lag er 0,2% hinter ihr, in New Hampshire lag er 22% vor ihr (das letzte mal gab es so ein Ergebnis in den 60ern als Kennedy angetreten ist - ohne Gegenkandidaten). In Nevada, wo in einer Woche die nächste Wahl sein wird, stehen beide ungefähr gleich. Die nationalen Umfragen sagen dass er inzwischen nur noch Einstellig hinter ihr liegt (ca. 50 zu 40 für Clinton) - im Dezember war es noch 60 zu 30 .. gestartet hat er bei 3% im letzten Jahr.

Ich finde das wesentlich spannender und ihn wesentlich besser - sowohl aufgrund seiner Ehrlichkeit, als auch seiner Positionen - als jede Wahl in Europa. Und inzwischen hat sich eine richtige Bewegung gegründet, die nicht nur ihn ins weiße Haus bringen will (Bernie Sanders: "Ich kann nicht alleine gegen die Wallstreet und Corporate America antreten") - sondern auch eine Bewegung, die das ganze politische System ändern will (Bernie Sanders: "dieses System wird manipuliert") und ebenfalls bei den Senatswahlen antreten will (Bernie Sanders: "Der Kongress ist korrupt und arbeitet nicht für die Arbeiterfamilien in unserem Land"). Die neue Generation der Demokraten hat sich nun vorgenommen die alten Abgeordneten und das "Establishment" aus den Schalthebeln der Macht zu fegen. Es gibt erstmals seit vielen Jahren wieder einen Gegenkandidaten für das Amt des Parteivorsitzenden - ein junger schwarzer Sozialdemokrat, der ähnliche Ansichten wie Bernie Sanders hat und der Meinung ist, dass seine gesamte Partei von "Corperate America" (gemeint sind Wall Street, Silicon Walley und reiche Unternehmer) gesteuert wird. Überall melden sich neue Menschen als Gegenkandidaten für die alten Senatoren.

Das klingt jetzt alles sehr naiv und optimistisch - Fakt ist aber, dass schon mit Obama eine Veränderung im politischen System der USA stattgefunden hat - diese aber für viele noch nicht weit genug ging - er aber viele Professoren und Bürgerrechtler in seine Partei geholt hat und diese sie nun verändern. Die beliebteste Senatorin der Demokraten war bis vor 5 Jahren noch Professorin für Verbraucher- und Wirtschaftsrecht, leitete dann die Verbraucherschutzbehörde (von Obama eingesetzt) und er holte sie schließlich in den Senat. In Befragungen macht sie die Spitzenbänker und Regierung fertig, ist unabhängig und will mit ihren Gesetzesendwürfen schon jetzt die 5 größten Banken Amerikas zerschlagen - und sie bekommt dafür Unterstützung. Und das sind keine Obamas, diese Leute sind seit ihrer Jugend so, sie werden von ganz anderen Leuten unterstützt als Obama und nehmen keine Spenden von Unternehmen an (anders als Obama) - für Bernie Sanders gab es inzwischen mehr als 3,7 Millionen Spenden - durchschnittlich 27 Dollar (damit macht er inzwischen mehr Geld als Clinton, obwohl sie eine Spenderfirmer an der Wall Street hat).

Und auch auf Seiten der Republikaner ändert sich einiges. Trump bekommt ja nicht nur wegen seiner Inhalte über 30% - es ist viel eher die Klatsche, die man den Bushs, Christies und anderen etablierten Politikern geben möchte. Auch Ted Cruz (kein Kandidat des Establishments) bekommt über 25% und auch Marco Rubio - ein junger Politiker ohne Verbindung zu den Republikanern bekommt an die 15-20%. Die Etablierten Kandidaten dümpeln irgendwo unter 5% herum. Jeb Bush bekam in Iowa 3,8% und steht USA-weit bei 4,5%.

Ich bin da relativ zuversichtlich. Nicht nur, weil Bernie Sanders eine Chance aufs weiße Haus hat, sondern weil sich etwas grundlegend ändert. Die vielen Bürgerrechtler reden miteinander, die sozialen Bewegungen arbeiten zusammen, die Kleinstparteien (von den Grünen zu den Kommunisten bis zu den Libertären!) arbeiten zusammen. Die Gewerkschaften arbeiten zusammen und so weiter.

In Nevada sind schon jetzt für die Wahlen nächste Woche für seine "political Revolution" drei mal so viele Wähler registriert wie 2012 und doppelt so viele wie im "Chance" Jahr 2012, in dem Obama so viele Unterprivilegierte an die Wahlurne gebracht hat.

PS: Ist nun etwas länger geworden .. was ich nur schon schreiben wollte: Immerhin hat er dafür gesorgt, dass Clinton sich so weit verändert hat, dass Clinton 2016 und 2008, als sie das letzte mal angetreten ist, kaum noch Ähnlichkeiten haben bzw. die gleichen Positionen - weder in der Außenpolitik, noch in der Bildungs- oder Geshundheitspolitik. Überall musste sie auf ihn zugehen.. und mit ihr das gesamte Establishment der demokratischen Partei.